„Wow, bist du aber diszipliniert.“
„Wow, du isst ja gesund.“
Menschen, die sich besonders gesund ernähren, viel Sport treiben, die scheinbar perfekte Bikinifigur haben und immer durch ihre Disziplin glänzen werden oft bewundert.
Anerkennung und Bewunderung von allen Seiten. „Ich wäre auch gern so motiviert wie du“ heißt es dann oft.
Und versteht mich nicht falsch. Es ist wichtig sich um seine eigene Gesundheit zu kümmern und seinem Körper mit nahrhaften Essen und Bewegung wertzuschätzen.
Doch was ist, wenn der gesunde Lebensstil zum Zwang wird?
Was ist, wenn die anfängliche Motivation weniger Schokolade zu essen, zu einer eisernen Regel wird?
Was ist, wenn man ein schlechtes Gewissen bekommt und an seinem eigenen Wert zweifelt, sobald man mal etwas „Ungesundes“ isst?
Ja, was ist dann?
Ist das dann noch wirklich gesund?
Orthorexie. Wenn gesund essen zum Zwang wird.
Viele werden sich jetzt fragen, ob es das überhaupt gibt.
Zu gesund?
Geht das?
Leider geht das schon und in der heutigen Zeit, in der jeder Ernährungstipps über Social Media geben kann, kommt das öfter vor als man denkt.
Oftmals wissen die Betroffen nicht mal, dass es sich bei ihrem Verhalten um eine eigentliche Essstörung handelt.
Lebensmittel werden streng in „gut“ und „schlecht“, „gesund“ und „ungesund“, in „kannst du essen“ und „Omg, bist du wahnsinnig? Das kannst du doch nicht in deinen Einkaufswagen legen“ unterteilt.
Orthorektiker entwickeln ihre eigenen Ernährungsvorschriften, von denen sie nicht mehr abweichen.
Sie werden in der Auswahl der erlaubten Lebensmittel immer unflexibler und strenger mit sich selbst.
Mahlzeiten werden nicht selten mehrere Tage im Voraus geplant.
Essensituationen mit Freunden oder Familie werden vermieden. Zu groß ist die Ungewissheit, was tatsächlich in den vorgelegten Speisen enthalten ist. Es könnte ja eine „ungesunde Zutat“ enthalten sein.
Gesunde Ernährung hat heutzutage einen hohen Stellenwert und auch alternative Ernährungsformen stoßen zunehmend auf Interesse. Das kann ich nur begrüßen, schließlich studiere ich selbst Ernährungswissenschaften und weiß um die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung.
Jedoch kommt es nicht nur darauf an, was man isst, sondern vielmehr wie man isst, allem voran mit welchen Gedanken man das Essen zu sich nimmt.
Und genau hier liegt bei einer orthorektischen Verhaltensweise der Fehler.
Lustvolles Essen, Genuss und Gemeinschaft tritt komplett in den Hintergrund. Es wird sich stets auf teilweise bizarre Regeln gestützt.
Doch wie kommt es überhaupt dazu?
Die Motive können sehr individuell sein und reichen von Angst hervorgerufen durch Lebensmittelskandale oder Unverträglichkeiten, bis hin zu dem Wunsch perfekt nachhaltig zu leben, Angst vor Krankheiten oder schlichtweg der Wille zu einer bestimmten Bewegung oder einem Trend dazuzugehören.
An dieser Stelle möchte ich auch kurz über meine eigene Erfahrung sprechen. Schließlich habe ich das Thema nicht ohne Grund gewählt.
Auch ich hatte einige Jahre mit Orthorexie zu kämpfen. Und ich sage bewusst kämpfen, denn der Weg aus so einem Verhalten heraus ist nicht immer einfach.
Bei mir lag der Grund in einem krankhaft verzerrten Selbstbild, vor allem hervorgerufen durch gesellschaftliche Idealbilder.
Was mit dem einfachen Wunsch abzunehmen anfing, führte in eine Magersucht, gefolgt von strengem Vegetarismus, noch strengeren Veganismus, Sportsucht und schließlich Orthorexie.
Puh, das kling erstmal nach einer Menge.
Immer getrieben von der Angst zuzunehmen und dem Wunsch, in ein gesellschaftliches Ideal zu passen.
Wofür, wusste ich eigentlich selbst nicht so richtig.
Allerdings kann ich hier sehr gut den Bogen zum Anfang spannen, nämlich die Anerkennung.
Zu der Zeit bekam ich so viel Bewunderung von außen, wie krass es doch sei, dass ich diesen gesunden Lebensstil so durchhalte.
Ich machte sechs bis sieben Mal die Woche Sport, war selbst Zumba Trainerin und gab zusätzlich noch Kurse, ich habe mich komplett vegan, zucker- und weizenfrei ernährt.
Zu Familienfeiern brachte ich stets mein eigenes Essen mit, und im Urlaub googelte ich, wo ich etwas finden könnte, was in meine Essensprinzipien passt.
Klingt sehr bewundernswert, oder?
Hinter genau diesem scheinbar perfekten Leben, das so viele Menschen nach außen tragen: Auf Instagram, YouTube, im Freundeskreis, wo auch immer, steckt meistens ein enormer Leidensdruck, den man eben nicht sieht.
Ein perfekt gesunder Lebensstil, den man im Außen präsentiert und ständig Anerkennung und Bewunderung dafür bekommt ist kein Zeichen für die wahre Gesundheit eines Menschen und vor allem auch keine Garantie für mentale Gesundheit.
So fing auch ich an mich mehr mit meinen Gedanken und meiner inneren Welt zu beschäftigen. Ich begann zu meditieren, mich mit Spiritualität, Energien und der Weisheit meines eigenen Körpers zu beschäftigen.
Ich fing an, meine Verhaltensweisen wirklich zu hinterfragen.
Und auch wenn ich nach wie vor sehr verkopft an das ganze Thema Ernährung ranging, wurde ich dennoch offener und entspannter mit neuen Situationen.
Ich konnte meine kreisenden Gedanken durch Gespräche oder Meditation zur Ruhe bringen, meine ständige Planung rund ums Thema Essen ablegen und einfach mal leben.
Ich spürte immer mehr und immer mehr, was mein Körper wirklich braucht.
Schritt für Schritt ging ich in die Heilung und fand zurück zu mir selbst.
Das ist auch der Grund, weshalb ich Ernährungswissenschaften studiere.
Ich möchte damit aufräumen, dass es immer noch gesünder, noch kalorienärmer, noch besser sein muss.
Das Einzige, was wir uns alle mehr in unser Leben einladen dürfen ist Genuss.
Purer Genuss und tiefe Freude beim Essen, ganz egal ob es gerade der Apfel, die Schokolade, die Paprika oder das Eis ist.
Ernährung darf und soll Spaß machen.
Ernährung ist so individuell.
Und vor allem: Ernährung ist Liebe!